23. Neustraße, die neue Straße
In früheren Zeiten führte der Weg von der Eupener Ober – zur Unterstadt die steile Bergstraße hinauf und den Haasberg hinab. Um nun die Montjoier Landstraße von der Eupener Oberstadt und der Aachener Straße auf einem weniger ansteigenden Wege erreichen zu können, wurde in der Zeit von 1844 bis 1846 von der Bergstraße aus unter Umgehung des Bergkapellhügels eine neue Straße angelegt, die zunächst Montjoiner Straße und später Neustraße genannt wurde. Die Straße liegt somit in dem Stadterweiterungsgebiet des 19. Jahrhunderts, welches zur Entstehungszeit durch Gründerzeitbauten geprägt ist, und bei späteren Grundstückserschließungen mit Gebäuden im Stil der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bebaut wurde.

 

Vor 50 Jahren verstarb Martin Berg im Alter von 81 Jahren. Am 3. April 1966 schloss Bergs Lichtspielhaus „Schauburg“ seine Pforten, und das gleiche Schicksal ereilte das „Capitol“ am 1. September 1970. Das Grenz-Echo schrieb damals: „ Das Ende einer Geschichte, die doch eigentlich so gut begonnen hatte. Doch ist es wie im Film: Es gibt nicht immer ein Happy-End“…

 

Am 7. Februar 1963 verstarb der Eupener Kino-Pionier Martin Berg. Den ersten Kinosaal besaß er 1911 schräg gegenüber dem Jünglingshaus. Hier im Apollo-Kinotheater wurden die ersten Stummfilme ausgestrahlt. In der Eupener Residenz „Eupener Hof“ richtete Berg 1924 das Kinotheater „Moderne Lichtspiele“ ein. Schließlich setzte er mit dem Bau des supermodernen „Capitol“ neue Kinomaßstäbe für Eupen. Am 18. Februar 1925 erwarb er an der Neustraße das unter Sequester stehende Grundstück der Fabrikantenfamilie Krantz. Die Eröffnung des neuen Eupener Lichtspielhauses fand Ende Dezember 1933 statt. Im „Werbeblatt“ vom 17. November 1986 stand u. a. geschrieben: „Wie groß Martin Bergs Freude und Stolz gewesen sein muss, als 1933 sein Prunkstück die Pforten öffnete, kann man sich heute kaum vorstellen – Stolz nicht zuletzt auf seine eigene Leistung, denn schließlich hatte er jede freie Minute in seinen Traum investiert. Und wie schnell hätte in den Kriegsjahren dieser Traum wie eine Seifenblase jäh zerplatzen können. Zum Glück gingen diese harten Jahre relativ problemlos vorüber bis auf die Unterbrechungen in den Kinovorführungen während dem Fliegeralarm.“ Mit den Amerikanern zog ein erstes Mal die breite Unterhaltung ins „Capitol“ ein. Die Befreier machten aus dem Kinotheater ein „Erholungszentrum“ und nannten es „The Capitol Recreation Center“. Die US-Boys boten die tollsten Variétéprogramme, anfangs nur für ihre Soldaten, die von der Front zurückkamen und auf andere Gedanken kommen sollten, später für jedermann. In der Blütezeit des Lichtspieltheaters kassierte die Stadtkasse an „Lustbarkeitssteuer“ recht ansehnliche Summen. Ins städtische Säckel flossen 1967 nur mehr 183.304 Franken, während zehn Jahre zuvor noch stolze 416.989 Franken verbucht werden konnten.

 


59. Die Entwicklung der Neustraße

Schon im Jahre 1834 wurde durch Herrn Bürgermeister v. Grand Ry und Fabrikant Hüffer der Bau einer Straße von Montjoie (heute Monschau) übers Venn nach Eupen in Vorschlag gebracht. Die Verhandlungen mit der preußischen Regierung gestalteten sich jedoch äußerst schwierig. Erst im Frühjahr 1844 konnte mit dem Bau der Straße begonnen werden, für den die Stadt Eupen bedeutende finanzielle Opfer gebracht hatte. Beim Bau der Staatsstraße Eupen-Montjoie 1844/46, die am 10. Mai 1846 feierlich dem Verkehr übergeben wurde, beschloss man ebenfalls den innerörtlichen Verkehr von Eupen „am Berg“ nach Eupen „aunder gen Haas“ zu erleichtern. Er erfolgte bis dahin über die Bergstraße und den Haasberg, wobei große Höhenunterschiede zu überwinden waren. Bedenkt man, dass damals die Bergstraße in Höhe der Häuser Gut Looten einerseits und der Häuser „Ehrenbreitstein“ andererseits verlief, kann man sich ein Bild vom damaligen Fuhrverkehr machen. Obwohl man 1845 durch einen Geländeeinschnitt die Straße hier tiefer legte (und die jetzigen Verhältnisse schuf), bliebt man bei dem Projekt, seitlich von der Bergstraße, über die Lootenfluren hinweg eine neue Straße mit weniger Steigung anzulegen. Das Projekt wurde wie gesagt, im Rahmen des Straßenbaus Eupen-Montjoie verwirklicht, und die neue Straße über die Lootenwiesen trug zunächst auch als ein Teil jener staatlichen Fernstraße den Namen „Staatsstraße Eupen-Montjoie“. Noch nachdem der Eupener Bauunternehmer Vandenesch begann, zu beiden Seiten der Straße Häuser zu bauen, heißt es: „an der Montjoier Staatsstraße“. In den 1860er Jahren lesen wir noch in der Eupener Zeitung „Correspondenzblatt für den Kreis Eupen“: „im Hause X an der Staatsstraße Eupen-Montjoie ist eine Wohnung zu vermieten“. Für die Eupener und ihre Volkssprache war das natürlich ein umständlicher Name. Sie benannten die neue Straße, schon allein von der Tatsache her, dass über diese Wiesenfluren nie ein Weg geführt hatte „d‘r nöje we‘ich“ (der neue Weg). Die alte, im Volksmund entstandene Bezeichnung „nöje Weich“ blieb auch dann noch bestehen, als 1873 der Straße der Name Neustraße gegeben wurde. Sie durchschnitt namentlich die Wiesen des The‘Losen‘schen Gutes „Looten“. Sie bot daher auch eine günstige Gelegenheit zur Erbauung von Wohnhäusern. Es hat aber sehr lange gedauert, ehe diese Gelegenheit ausgenutzt wurde. Zunächst wurde das Gelände zu einer frühen „Industriezone“, zu einer Zeit als es diesen Begriff noch gar nicht gab.

An der neuen Straße erwarb der Maschinenfabrikant Peter Wilhelm Kirfel ausgedehnte Grundstücke und erbaute dort um 1845 zunächst ein Eisengießerei (sie ging später in den Besitz von Johann Wintgens über), die aber noch in ziemlicher Entfernung von der Straße lag. Dann aber erhielt er 1850 die Erlaubnis zur Errichtung eines mehrstöckigen Fabrikgebäudes am Rand der Straße. Nach Fertigstellung betrieb er dort eine Maschinenfabrik. Es ist uns heute unvorstellbar, dass eine solche Genehmigung erteilt werden konnte. Aber zu dieser Zeit war die Neustraße ja noch ein Feldweg. Erst als die Straße fast vollständig umbaut war, häuften sich die Beschwerden gegen die Maschinenfabrik, die nun Fecken & Kirfel hieß. Die Firma verlegte bald ihren Sitz nach Aachen. Im Jahre 1883 übernahm die Papierhülsenfabrik Lonhienne die Gebäude. Aber bereits im Jahre 1885 begann der Umbau eines Teiles der Fabrik zu den Wohnhäusern 39-49. Im Jahre 1889 ersucht Gustav Spangenberg um die Genehmigung in den Restgebäuden eine Weißgerberei einzurichten, die ihm aber nicht erteilt wird. Im Jahre 1896 erhält Joseph Derousseaux die Erlaubnis zur Errichtung einer mechanischen Weberei im ersten Stock des Gebäudes. Nach Inbetriebnahme folgten massive Beschwerden der Nachbarn. Nicht etwa wegen des Lärms der Webstühle, sondern „über das Puffen des Gasmotors!“. Im zweiten Stock etabliert sich um 1900 die Rheinische Möbelfabrik Kirfel & Kaiser, doch auch sie besteht nicht lange an dieser Stelle. Letzter Benutzer des Fabrikgebäudes war die Firma Peter Bourseaux & Söhne, die hier mit der Fabrikation isolierter Drähte und Spindelschnüren begann. Im Jahre 1909 ließ Caspar Franken den letzten Teil der Fabrik zu Wohnhäusern umbauen. Heute erinnert nur noch die Rückseite der Wohnhäuser daran, dass sie aus einem Fabrikgebäude entstanden sind.

Schon 1869 hatte der Drucker und Verleger Jacob Wehren den Versuch gestartet; in Eupen eine neue Zeitung zu etablieren, die „Eupener Zeitung, Organ für Politik, Handel, Gewerbe und Landwirtschaft“. Das Blatt wurde zunächst bei Carl Julius Mayer in der Borngasse 31 gedruckt. Im September 1872 stellte das Blatt sein Erscheinen wieder ein. Die letzten Ausgaben waren in Wehrens an der Neustraße 177/2 ansässigen Verlag herausgegeben worden. Bereits am 12. Oktober 1872 zeigte sich, dass die „Eupener Zeitung“ weitergeführt werden sollte. Die Zeitung, deren Expedition sich in der Neustraße 174/12 befand, sollte bis 1917 erscheinen. Eucharius Corman, der die „Eupener Zeitung“ im Oktober 1872 übernommen hatte und sich im Mai 1875 ins Privatleben zurückgezogen hatte, um sich als Buchhändler zu betätigen, rief 1901 die Wochenschrift „Die Eifel und ihre Nachbargebiete“ ins Leben. Diese Wochenschrift wollte den Fremdenverkehr in Wort und Bild fördern. Die Zeitung wurde von Carl Braselmann in der Eupener Neustraße 18 gedruckt. Bis 1904 fungierte die Corman‘sche Buchhandlung als Verleger, dann zeichnete Heinrich Amedik, der die Buchhandlung an der Neustraße 27 nach Cormans Tod übernommen hatte, als Herausgeber verantwortlich. 1905 ging das Blatt ein.

1876 wurden zwei neue Schulgebäude erbaut, eins auf der Neustraße für evangelische Kinder und ein anderes für katholische Schüler auf dem Gelände des ehemaligen Kreisgefängnisses an der Aachener Straße.

Im bergigen Eupen findet man gewöhnlich eine oder auch mehrere Wirtschaften am Fuße einer Steigung. Sie stammen noch aus den Zeiten, als die Fuhrleute mit ihren schwer beladenen Wagen die Straßen hinauffuhren und dabei ihren Pferden und nebenbei sich selber eine Ruhepause und Erquickung gönnten. Auf der Neustraße war diese meist dreifacher Art: zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Steigung. Auf jeder dieser Stationen labte sich der Fuhrmann mit gewöhnlich mehreren Gläschen „Weißem“, die vor 1914 nur 5 Pfennige kosteten.

Um die Jahrhundertwende gab es auf der ganzen langen Neustraße, die zur Bergseite noch von Weidewiesen eingesäumt wurde, nur ein einziges Geschäft: Photograph Laue, der Vorgänger von Photograph Franken.

Der Grundstein zum Eupener Kabelwerk wurde um die letzte Jahrhundertwende gelegt, als die Brüder August und Carl Bourseaux, die unter der Firma „Peter Bourseaux & Söhne“ eine schon seit 1747 in Eupen bestehende Seilwarenfabrik betrieben, die Fabrikation isolierter Leitungen in kleinem Umfang aufnahmen. Der Absatz dieser elektrischen Leitungen stieg mit der zunehmenden Ausdehnung der Elektrizität, so dass die in der Seilwarenfabrik zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten und eine Trennung der beiden Fabrikationszweige vorgenommen werden musste. Die Leitungsdrahtfabrik wurde in ein größeres Fabrikgebäude, den sogenannten Kirfelschen Bau an der Neustraße, verlegt. 1908 wurde ein großes, im Pang gelegenes Gebäude erworben und 1909 wurde für die Leitungsdrahtfabrik eine neue Firma gegründet, welche den Namen „Kabel- und Gummiwerke Eupen“ annahm.


87. Bauten der Gründerzeit in Eupen – Die Neustraße

An der mittleren Bergstraße, dort wo jetzt die Neustraße abzweigt, befand sich eine Sackgasse, im Volksmund „Dr Schwauwau“ genannt. Hier wurde der neue Weg, der die Oberstadt mit der Unterstadt und der neuerbauten Straße nach Monschau verbinden sollte, mitten durch die Wiesen des Gutes Looten angelegt und am 10. Mai 1846 eröffnet.

Der „neue Weg“, wie er heute noch im Volksmund heißt, lag parallel zum Abhang der Berghöhe. War er einerseits den Eupenern für die Erschließung neuen Baugeländes willkommen, so hatte er andererseits auch eine Reihe von Mängeln, die zum Teil bis heute nicht mehr zu beheben waren. Die Eupener Bürger-Zeitung schrieb darüber noch im August des Jahres 1906 u.a. :

„Die Anlage der Straße war mitten durch grüne Wiesen erfolgt und durchschnitt namentlich diejenigen des The Losenschen Gutes Looten. Sie bot daher auch eine günstige Gelegenheit zur Erbauung von Wohnhäusern, welche an beiden Seiten ausgenutzt werden konnte. Es hat aber langer, sehr langer Zeit bedurft, ehe sie solche an beiden Seiten entstehen sah. Dieser langen Bauperiode ist es auch wohl zuzuschreiben, dass die Steigungsverhältnisse derselben so ungleiche, die Höhenlage der Bürgersteige nicht bloss von einer Seite zur anderen stellenweise um mehr als Meterhöhe differiert, sondern auf ein und derselben Seite derart unterschiedlich zu Tage tritt, dass manche Häuser-Eingänge tief unter der Straßenkrone sich befinden, während andere ordnungsmäßig mehrere Stufen über derselben sich erheben. In gleich schlechter Verfassung befindet sich der an der mit den geraden Nummern versehenen Häuserreihe hinlaufende Entwässerungskanal, der was Sohle, Breite und Höhe anbelangt, fast vor jedem Haus anders beschaffen ist und jedenfalls einer einheitlichen Regulierung bedarf, bevor mit der so wünschenswerten Trottoirisierung der dortselbst so sehr im Argen liegenden Bürgersteige begonnen wird. - An der anderen Seite ist die Trottoiranlage, so gut es ging, durchgeführt worden…

...An den soeben besprochenen Mängeln, die der Neustraße anhaften, trägt die hiesige Stadtverwaltung keine Schuld. Obschon mitten in der Stadt gelegen, ist sie nicht städtisches Eigentum geworden, sondern im Besitze der Provinz geblieben. Die Aufsicht über die Provinzialstraßen übten von jeher deren Beamte, die Kreisbaumeister aus, denen die Errichtung von Neubauten angezeigt werden musste und welche Angabe über die jeweiligen Anlagen zu machen hatten. Hier hat es nun augenscheinlich an dem Vorhandensein eines einheitlichen Bebauungsplanes gefehlt. Die Herren entschieden von Fall zu Fall und ist auf solche Weise das Sammelsurium von Anlagen entstanden, wie solche sich heute präsentieren…

...Wie sehr die Anlage der Neustraße einem tatsächlichen Bedürfnisse entsprach, so ist sie andererseits für die Einwohner und namentlich für die Anwohner ein Schmerzenskind geblieben. In ihrem chausseemäßigen Ausbau entwickelt sich in ihr zur Sommerzeit ein unleidlicher Staub, der bei Sturmwind durch noch so gut schließende Türen und Fenster dringt; zur Winterszeit aber und bei anhaltendem Regenwetter lagert in ihr eine Schlammmenge, die das Schuhwerk der Passanten bis zu den Fußknöchelnl beschmutzt und ihr schon seit langen Jahren die zwar unschöne, aber doch richtige Bezeichnung „Schlammbad Neustraße“ eingetragen hat. Mit Bezug auf diese, der Straße anklebenden Unzuträglichkeiten, haben die Anwohner schon häufig Beschwerde geführt und auf Abhülfe angetragen. Es ist aber stets beim alten geblieben und es wird dieses auch noch so lange der Fall sein, als dieselbe nicht mit dem Pflaster versehen wird, denn die fortwährenden Steinauflagen werden von dem massenhaft befahrenden, schwerbeladenen Rollfuhrwerk stets wieder zu Staub gemahlen und zu Schlamm verarbeitet. Seit mehreren Jahren besorgt die städtische Verwaltung die Instandhaltung der Straße, welcher Verpflichtung vordem die Provinzial-Verwaltung in nicht gerade mustergültiger Weise selbst nachkam.“

Doch zurück zu den Wohnhäusern an der Neustraße. An der rechten Seite findet man sie in einer gewissen Uniformität. Das hat seinen Grund. Die Häuser bis zur Abzweigung Looten wurden durchweg durch den Unternehmer Vandenesch, die Häuser oberhalb der Abzweigung in der ersten Hälfte durch den Unternehmer Baltus, in der zweiten Hälfte durch den Unternehmer Beer errichtet. Die linke Seite der Straße weist einen größeren Ideenreichtum auf, wenn auch die Grundeinteilung fast überall gleich ist. Hervorzuheben ist das Haus Nr. 54, das der damalige Eigentümer selbst plante und erbaute und wenn wir den Plan des Hauses Nr. 66 betrachten, so stellen wir fest, dass es vor dem Umbau harmonischer aussah.


115. Kinosaal Capitol

Als der Eupener Martin Berg in den Jahren 1931 bis 1933 das Lichtspieltheater „Capitol“ in der Neustraße errichten ließ, war die Entwicklung der Filmtechnik weit fortgeschritten. Der Tonfilm hatte den Stummfilm längst abgelöst und der Farbfilm stand kurz vor dem Durchbruch. Bereits nach der Jahrhundertwende entstanden in den Großstädten Europas an prominenten Standorten gewaltige Lichtspielhäuser. Planer entwarfen für die charakteristische Gestalt der Kinos anspruchsvolle Architekturen und richteten Foyers und Säle so aufwändig und stilvoll ein, dass sie den Theatern und Opernhäusern jener Zeit gleich gestellt waren. Musikaufführungen, Sketsche und Revuen ergänzten das Kinoprogramm, weswegen Orchestergraben und Bühnentechnik zur Standardausrüstung gehörten. Schon 1913 öffnete der erste große Kinopalast „Pathé Palace“ in Brüssel seine Türen für das stummfilmbegeisterte Publikum. Der Kinobesuch wurde zum Vergnügen für Jung und Alt. Auf die große Resonanz in der Bevölkerung antwortete die Filmindustrie mit Angeboten für jedermann. In den Kriegsjahren boten die Filme neben Ablenkung, Zerstreuung auch Aufklärung und wurden zu Propagandazwecken missbraucht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte das Kino schon bald an die Publikumserfolge der 1930er Jahre anknüpfen.

Der Aachener Architekt Bemelmans lieferte die Pläne für das „Capitol“ und begleitete die Ausführung. Als Standort erwarb Martin Berg eine Parzelle in der Neustraße, ein Straßenzug, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts Unter- und Oberstadt verknüpft und von Fassaden des Historismus geprägt ist. Vom dreigeschossigen Lichtspielhaus tritt nur seine Schauseite in Erscheinung, die der Formensprache des Expressionismus folgt. Die symmetrisch angelegte, klar gegliederte Putzfassade ist durch Fensterbänder, Fensterstürze und Gesimse kräftig horizontal hervorgehoben. In den Fensterrahmen sind überwiegend noch die originalen, kristallin strukturierten Glasscheiben erhalten. Ein flacher Treppengiebel und die weit ausladende Eingangsüberdachung mit dem Schriftzug „Capitol“ betonen die Fassadenmitte. Über eine breite Türanlage betritt der Besucher das Foyer und den großen Kinosaal, der ehemals mit steigender Bestuhlung, mit Orchestergraben und Bühnentechnik ausgestattet war. Über eine seitliche Treppe im Vorraum erreicht man das Obergeschoss mit einem Café und von dort den Balkon, der weit in den Zuschauerraum hinaus schwingt. Saal und Balkon boten Platz für 780 Personen. Das erhaltene, fest eingebaute Mobiliar und die originalen Beleuchtungskörper vermittelten den Eindruck von der modernen Eleganz, die seinerzeit die Kinoräume auszeichnete.

Seit den 1960er Jahren setzte sich das Fernsehen zunehmend in den Familien durch. In den Kinos fielen die Besucherzahlen innerhalb weniger Jahre spürbar. Der regelmäßige Kinobesuch wurde zur Ausnahme, das Kinosterben setzte ein. Auch das Kinogeschäft im „Capitol“ musste 1970 wegen Unwirtschaftlichkeit aufgegeben werden. Nach längerem Leerstand konnte die Umnutzung zum Warenhaus den Fortbestand des Gebäudes gewährleisten. Eine spätere Nutzung als Veranstaltungsort endete 2012. Das zukünftige Schicksal des ehemaligen Kinos ist offen. Mit der Unterschutzstellung seiner Schauseite 2015 bleibt dem charakteristischen Straßenzug der Neustraße zumindest der Verlust der einzigartigen, zeittypischen Fassade des „Capitols“ erspart.


119. Denkmalensemble Neustraße

Bis zur Mitte der 1840er Jahre mühten sich schwer beladene Fuhrwerke zwischen Ober- und Unterstadt über die steile Bergstraße und den Haasberg. Mit der Inbetriebnahme des Fernstraßenprojekts, der sogenannten Staatsstraße Eupen-Montjoie 1846, wurde auch die Teilmaßnahme der heutigen Neustraße fertig gestellt, ein deutlich flach projektierter Fahrweg über die süd-westlich gelegenen sogenannte „Lootenfluren“, der den innerörtlichen Warenverkehr spürbar erleichterte. 1873 wurde der Name Neustraße offiziell vergeben. Der Ausbau staatlicher Verkehrswege war seinerzeit einheitlich geregelt, so wird die Neustraße dementsprechend mit Kopfsteinpflaster befestigt gewesen sein. Nach der Explosion einer ersten Aufbereitungsanstalt für Kohlengas baute 1856 der Apotheker Richter eine neue Gasfabrik für die Belieferung von 113 städtischen Gaslaternen, von denen etliche in der Neustraße standen.

Seit 1905 bezog Eupen schließlich elektrische Energie aus der Rurtalsperre. Damit waren die Voraussetzungen für den Bau der elektrischen Straßenbahn Aachen-Eupen gegeben, deren Gleis von Herbesthal nach Eupen und über die Neustraße zur Unterstadt führte.

Dazu eine kleine Anekdote: Es war in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Die „Tram“ durchfuhr noch unsere Stadt vom Rathaus zum Bellmerin. Fahrer und Schaffner stammten meist aus den Reihen unserer Mitbürger. So kam es, dass der Wagen auch manchmal dort hielt, wo es nicht vorgesehen war, aus Gefälligkeit. Doch Gefälligkeiten werden leicht zur Selbstverständlichkeit. Eines Tages stieg am Rathaus eine Dame, Typ „Kürassier“ in den Wagen und „befahl“ dem Fahrer: „Halten Sie Neustraße 96!“ Liebenswürdig erwiderte der Fahrer: „Op waffer Etasch, Madam?“

Man begann frühzeitig mit der Bebauuung der straßenbegleitenden Grundstücke. Der Eupener Bauunternehmer Vandenesch war einer der ersten Investoren. Es entstanden meist drei- oder vierachsige, zwei- bis dreigeschossige Gebäude auf schmalen Parzellen, oft mit Tordurchfahrten zur Erschließung der rückwärtigen Grundstücksflächen, wo sich kleine Werkstätten oder Handwerksbetriebe etablierten. Größere Grundstücke an den Enden der Straßenfluchten waren den Stadtvillen vorbehalten. Die optische Klammer zur barocken Oberstadt im Norden übernahm Ende des 19. Jahrhunderts der repräsentative Neubau vom „Hotel-Restaurant M. Dechêne“ später „Pontzen“ am Fuß der Bergstraße. Später, 1918 wurde hier das erste Lichtspieltheater eingerichtet.

Die überwiegende historische Bausubstanz stammt aus den Jahren 1846 bis 1914. Nicht nur die Bürgerhäuser, sondern auch der Mietwohnungsbau sind hier vom Historismus jener Zeit geprägt. Die Gebäude stehen in dichter Reihe. Sie begrenzen die scharfe Linie der Straßenflucht. Ihre aufwändigen Putzfassaden, mit üppiger, floraler oder ornamentaler Bauzier aus dem reichen Formenkatalog der sogenannten Gründerzeit oder ihre Schauseiten aus roten oder gelben Ziegelsteinen, mit hellen Naturstein- oder Putzapplikationen, stimmen das Straßenbild großstädtisch. Feingliedrige Fenster von aufwändigen Stuckprofilen gerahmt, lassen die Prächtigkeit der Innenräume erahnen. Der stadtbekannte Bildband „Schätze im Verborgenen“ erlaubt umso mehr einen indirekten Blick in Innenräume verschiedener Häuser der Neustraße, deren meisterhafte Stuckarbeiten an Decken und Wänden den Betrachter verzaubern.

Aus der Zeit zwischen den Kriegen ist das Kino „Capitol“ bemerkenswert. Seine Straßenfront strahlt durch Sachlichkeit und klare Linienführung die Phase des Expressionismus freimütig aus, jedoch ohne aus der Reihe zu tanzen. Die 1950er Jahre werden durch das Gewerkschaftshaus und das Geschäftshaus Neustraße 106 mit kühn gekurvter Ecklösung anschaulich vertreten. Beide repräsentieren das „Neue Bauen“, das auf Schlichtheit und Zweckmäßigkeit in der Architektur ausgerichtet ist. Die Gesamtheit der Neustraßenbebauung ist als wichtige Stadterweiterungsplanung, insbesondere des 19. Jahrhunderts aufzufassen und mit seinen bedeutenden, späteren Ergänzungen als einheitliches Ensemble zu betrachten.


127. Vom Hanfseil zum Hochspannungskabel – Von der Neustraße in den Pang

„Heute morgen erreichte uns die Trauerbotschaft vom Ableben des Seniorchefs der Kabel- und Gummiwerke A.G., der in der vorigen Nacht im hohen Alter von beinahe 85 Jahren aus diesem Leben schied“, berichtete das GrenzEcho am 12. August 1966.

Weiter hieß es in dem Nachruf: „Seit mehr als einem halben Jahrhundert war Herr Carl Bourseaux als Mitgründer der Kabel- und Gummiwerke mit dem industriellen Aufschwung Eupens und der näheren Umgebung engstens verbunden. Mit seinem bereits lange verstorbenen Bruder August nahm er um die Jahrhundertwende in der Seilfabrik der Firma Peter Bourseaux Söhne auf der Neustraße schon in kleinerem Umfang die Herstellung von isolierten Leitungen auf. Daraus entstanden dann im Jahre 1908 die Kabel- und Gummiwerke im „Pang“, deren rasche Aufwärtsentwicklung bei der werktätigen Bevölkerung mit größter Freude begrüßt wurde. (…) Mit der Geschichte und dem Aufschwung des Werkes ist der Name von Generaldirektor Carl Bourseaux auf das Engste verbunden. (…) Am 18. September 1956 hatte der Eupener Stadtrat einstimmig beschlossen, Herrn Carl Bourseaux zum Ehrenbürger der Stadt zu ernennen. Auch die Regierung erkannte die großen Verdienste des Industriellen an; der König verlieh ihm das Offizierskreuz des Ordens Leopold II.“

 

Einführung der Fabrikation von elektrischen Drähten

Carl Bourseaux wurde am 27. Oktober 1881 als fünfter Sohn des Seilermeisters Peter Jakob Bourseaux und der Maria Hansen geboren. Sein Bruder August, mit dem er 1908 die Kabel- und Gummiwerke gründen sollte, war zehn Jahre älter als er. Als der Vater 1892 starb, oblag es August, als ältestem Sohn, für die Familie und das Geschäft zu sorgen. August unterstützte seinen jüngeren Bruder auch bei der Verwirklichung einer neuen Geschäftsidee.

Nachdem Carl das Eupener Progymnasium absolviert hatte, ging er mit 17 Jahren nach Frankfurt am Main, wo er in einem dortigen Werk die Herstellung von Leitungsdrähten erlernte. 1899 kam er zurück nach Eupen und verwendete seine Kenntnisse für die Einführung der Fabrikation von elektrischen Drähten und Leitungen innerhalb der väterlichen Firma. In den daraus entstandenen Kabel- und Gummiwerken bekleidete er nach dem Tode seines Bruders August im Jahre 1935 den Posten des Generaldirektors und Präsidenten des Verwaltungsrates. Er führte das Werk zu höchster Blüte.

 

Seit 1749 in Eupen aktenkundig

Bei seinem Tode erstreckten sich Fabrikationsstätten über 150.000 qm und wurde das Werk mit seinen rund 1.400 Arbeitern und Angestellten als „Brotschrank“ Eupens bezeichnet.

Der Zweig des Geschlechts Bourseaux, aus dem die Brüder August und Carl hervorgegangen sind, ist seit 1749 in Eupen aktenkundig. Am 5. November jenen Jahres ließen die Eheleute Jean Pierre Bourseaux und Catherine Haybin in der St. Nikolaus-Pfarrkirche ihre Tochter Maria Franziska taufen. Mit ihren 1745 bzw. 1747 in Cerexhe-Heuseux geborenen Söhnen Jean-Baptiste und Simon Joseph war das Paar wohl im Laufe des Jahres 1747 nach Eupen übergesiedelt. Hier gründete Jean Pierre Bourseaux eine Hanfseilfabrik, von der es 1764 hieß, dass sie jährlich 18.000 Pfund Hanf zu Seilen verarbeite, sechs Personen beschäftige und ihre Waren nach Aachen und Montjoie, ins Jülicher und ins Lütticher Land liefere. Das Ehepaar Bourseaux-Haybin hatte sich zunächst in der Capuzinerstraat (Klosterstraße) niedergelassen. 1752 war es in der Houffegatz (Hufengasse) ansässig. Zehn Jahre später erwarb Jean Pierre Bourseaux in der Hufengasse drei Häuser mit Gärten und Wiesen und allem Zubehör, vier Morgen groß. (Dieses Anwesen wurde 1962 abgebrochen, um Platz für die heutige Apotheke am Rotenbergplatz zu schaffen.)

 

78 Meter lange Seilerbahn

Der Urenkel der Begründer des Eupener Zweigs des Geschlechts Bourseaux, Peter Jakob, ließ sich nach seiner Heirat mit Maria Hansen an der Neustraße 50 nieder, in dem Haus, das Peter Jacob gemeinsam mit seinem Bruder Michael Joseph um 1870 errichtet hatte. Hinter dem Haus, in den Lotenwiesen, befand sich die 78 Meter lange Seilerbahn, auf der August und Carl Bourseaux um 1899 erste elektrische Leitungsdrähte herstellten.

Nachdem die Brüder August und Carl 1908 auf der Flur „Pang“ in der Unterstadt die Kabel- und Gummiwerke gegründet hatten, bestand die Stammfirma Peter Bourseaux Söhne unter der Leitung der Brüder Emil und Julius weiter. Diese erwarben 1920 in den Haagen die Flur „Schafskopf“ von dem Maschinenfabrikanten Franz Bouvet, und richteten dort neben der Seilerei noch eine Jute-Spinnerei ein. Mitte der 1950er Jahre wurde zudem die Produktion von Sisal-Teppichen aufgenommen. 1968 wurde die Produktion eingestellt, und die Firma Peter Bourseaux Söhne aufgelöst.


139. Schlagzeilen von der Neustraße - Der Grenzland-Report

Vor 35 Jahren, fast zeitgleich mit der Einsetzung der ersten Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft, startete in Ostbelgien ein Medium, das viel Aufsehen erregte und insgesamt gut 10 Jahre Bestand hatte, wenngleich mit Höhen und Tiefen: der „Grenzland-Report“. Ins Leben gerufen wurde die im Zwei-Wochen-Rhythmus erscheinende Zeitung durch das Grenz-Echo und den Journalisten Gerard Cremer, heute Herausgeber von „Ostbelgien Direkt“. Sehr schnell erhielt das Medium wegen seiner kritischen und für damalige Verhältnisse frisch-frechen Art, Themen aufzugreifen, den Beinamen „Revolverblatt“. Redaktion und Geschäftsstelle befanden sich auf der Neustraße.

Initiator des schon vor seinem Start in Politiker- und Pressekreisen stark diskutierten Unternehmens war Gerard Cremer. Der Eupener, 27, verheiratet und Vater von zwei Söhnen, hatte in Löwen Soziologie studiert, war vier Jahre in Aachen bei der „Aachener Volkszeitung“, wo er das journalistische Handwerk erlernte, tätig gewesen und hatte anschließend eine berufliche Pause eingelegt, um Hausmann zu werden.

Am 16. Dezember 1983 hatte es Gerard Cremer geschafft. Die Nummer 1 seines „Grenzland-Reports“ wurde in tausenden von kostenlosen Ansichtsexemplaren in alle Haushalte der Deutschsprachigen Gemeinschaft sowie einiger Randgemeinden verschickt. Was den Inhalt betrifft, so könnte man sich vorstellen, dass der eine oder andere Leser doch mehr erwartet hätte. Gewiss gab es da vom Eupener Park Klinkeshöfchen und die Hauseter Sandgrube Flög über das Trappistenkloster „Genesee-Abbey“ in den USA bis zur neuesten ostbelgischen Literaturproduktion oder dem Fußballklub „FC Seraing“ etwas für jeden Geschmack und waren die Beiträge gut recherchiert und angenehm zu lesen. Es fehlte jedoch noch, wie damals jemand meinte, „das gewisse Etwas“. Denn auch das Interview mit Premierminister Martens, dessen Bild die Titelseite zierte, hätte ebenso gut im „Grenz-Echo“ stehen können. Trotzdem. Alle, die sich in der ostbelgischen Politik- und Presseszene näher auskannten, werden schon dann bemerkt haben, dass der „Grenzland-Report“ doch etwas Besonderes war und dass womöglich eine Zeit bevorstand, in der, wie sich ja danach auch oft bewahrheitete, „all die Dinge, die von den etablierten Medien verschwiegen wurden, publik gemacht werden“.

„Liberaler Premier für Ostbelgien“, war auf Seite 1 zu lesen. Und dies, obwohl – wie bisher nicht unüblich in solchen Fällen – es zwischen den Parteien und den Medien eine Absprache gab, zur personellen Besetzung der ersten Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft, die einige Wochen später gebildet werden sollte, vorerst nichts zu berichten. Der „Grenzland-Report“ - der allerdings zum Zeitpunkt der Absprache noch nicht existiert hatte – gab nun nicht nur die Namen der zukünftigen Minister preis, sondern plauderte auch sorglos einige Verwaltungs-Interna aus. Diese journalistische Unbekümmertheit war für Ostbelgien eine Premiere und löste in den betroffenen Kreisen einige Unruhe aus.

Als am 6. Januar 1984 die zweite Nummer des „Grenzland-Report“ erschien, zeichnete sich ab, dass die Befürchtungen der Politiker, fortan mit einer ihnen unbequemeren Presse rechnen zu müssen, nicht grundlos gewesen waren. Das Porträt, das Freddy Derwahl im „Spiegel“-Stil vom designierten Ministerpräsidenten verfasst hatte, sorgte für allgemeine Aufregung. „Das dürfen die doch nicht!“ war zu hören, und die Schockiertesten versuchten sich mit der Prophezeiung, dass „denen ohnehin bald die Luft aus geht“, bis zur nächsten Ausgabe zu beruhigen.

Besonderer Wert wurde beim „Report“ auf originelle Fotos und treffende Karrikaturen gelegt – auch ein Novum, mit dem sich der „Grenzland-Report“ von der Tagespresse abhob. Womit sich der „Report“ jedoch am stärksten hervortat, das waren zweifellos seine „Knüller“. Denn journalistische Tabus, darauf hatte man sich bei der Gründung geeinigt, sollte es nicht geben dürfen. So erschienen dann gelegentlich Artikel, wie sie bislang in Ostbelgien nie zu lesen gewesen waren und die manchmal ihren Autoren nicht wenig Ärger und dem „Report“ von entrüsteter Seite die Betitelung „Bild-Zeitung“, „Revolverblatt“ oder „Tratsch-Presse“ einbrachten.

Für das größte Aufsehen und zum restlosen Ausverkauf der „Report“-Nummer sorgte der Artikel über einen jungen Priester, der wegen des Antrags vom Gelübde der Ehelosigkeit entbunden zu werden, bedeutende Schwierigkeiten mit dem Lütticher Bistum bekommen hatte und um seinen Arbeitsplatz an einer Eupener Schule bangte.

Im ersten Jahr seines Erscheinens hatte der „Grenzland-Report“ in der Regel eine Auflage von etwa 2000 Exemplaren; von einem „Report“ mit „Knüller“ wurden indes bis zu 3000 Stück verkauft. Eines jedenfalls stand schnell fest: Der Ostbelgier im Allgemeinen – wenn er sich denn etwas frischen Wind in seiner Medienlandschaft gewünscht hatte – kam auf seine Kosten. Die mitunter unkonventionelle Art, die Dinge darzustellen, fand Gefallen, und die Tatsache, dass „Report“-Redakteure sich auch mit Themen befassten, die von der etablierten Presse gemieden worden wären, und zudem vor „hohen Tieren“ nicht zurückschreckten, verlieh der Zeitung in den Augen mancher Bürger die Aura des Revolutionären. Kein Wunder demnach, dass in der kleinen „Report“-Geschäftsstelle an der Eupener Neustraße immer wieder Leute vorstellig wurden, um in einer Sache, „über die die anderen ja sowieso nichts schreiben dürfen“, ausgiebig auszupacken oder um nach der Veröffentlichung eines Artikels, mit dem es „denen da oben endlich mal gezeigt wurde“, dem Chefredakteur anerkennend auf die Schulter zu klopfen.

Doch ab und zu hatten auch die Politiker ihre Freude am „Report“. Immer dann, wenn sie es geschafft hatten, womöglich mit ausgefallenem Foto in der Rubrik „Leute von heute“ aufzutauchen, wo in kurzen Meldungen auf witzige Weise Anekdotisches aus der ostbelgischen Gesellschaft zu erfahren war.

Viele heiße Eisen wurden durch die Redaktion des „Grenzland-Report“ angepackt. Die Liste reicht vom Fall Ludwig Huppertz (schon nach zwei Tagen waren alle Exemplare vergriffen) über die Ministergehälter und die Subsidienliste der DG bis hin zur Affäre um den entlassenen Lehrer Joseph Hick.

Nach einem Jahr brach beim Grenz-Echo die große Krise aus. Am Marktplatz wollte und konnte man sich den „Report“ nicht mehr leisten. Aus der Zeitung wurde ein „Werbeblatt“, das gratis in 25.000 Haushalte verteilt wurde. Weiterhin wurde im bekannten unbefangenen Stil zu allen möglichen, vorzugsweise brisanten ostbelgischen Themen berichtet, und immer wieder gab es die Gemüter erregende Reißer. So die Ausgaben, in denen in aller Ausführlichkeit die Geschichte eines Lehrers an die Öffentlichkeit kam, der sich von seinen Vorgesetzten in seiner Ehre verletzt betrachtete und über die Zeitung Anklage erhob.

Auch das Verhältnis zur Politik blieb angespannt und führte bisweilen zum Eklat. Zum Beispiel, als der „Report“ die „Unverschämtheit“ besaß, die – eigentlich nur Befugten zugänglichen - „Subsidienliste“ des Rates und der Exekutive der Deutschsprachigen Gemeinschaft publik zu machen. Oder – im Rahmen der Turbulenzen um die „Niermann-Affäre“ - nach dem Erscheinen einer Satire, die ihrem Autor sogar eine Gerichtsklage seitens einiger Mitglieder der Eupener Stadtratsmehrheit bescherte.

1989 ging Gerard Cremer als Auslandskorrespondent nach Rom, der „Grenzland-Report“ kehrte zum Grenz-Echo zurück, wo inzwischen Alfred Küchenberg und Ernst Thommessen das Sagen hatten. Fortan erschien das Blatt nur noch im Monatsrhythmus. 1994 wurde es eingestellt.


202. Als Eupen an das Telefonnetz kam
Am 2. Oktober 1883 klingelte bereits in Aachen das Telefon. In Belgien wurden die ersten Versuche mit der neuen Erfindung in den Jahren 1877 und 1878 unternommen. 1882 gelang dem Landsmann Van Rijsselberghe das technische Kunststück, gleichzeitig Gespräche über mehrere am gleichen Holzmast installierte Leitungen zu führen. Durch die Erfindung Van Rijsselberghes wurde auch erst der Ausbau eines großen Telefonnetzes ermöglicht. Man konnte jetzt Gespräche über weite Entfernungen führen. Bereits 1882 wurde eine direkte Telefonverbindung zwischen Brüssel und Paris hergestellt. Ein Jahr später klingelte auch das Telefon in Aachen.
Als die Eupener Stadtväter mit Bürgermeister Mooren am 2. Oktober 1893 in Aachen einen Vertrag über das Anbringen einer oberirdischen Telefonleitung mit Isolatoren an Privathäusern unterzeichneten sowie mit dem Bau hoher Telefonmasten, meldeten sich, wegen der hohen Kosten, nur drei Interessenten.
Erst als die Verbindung zu Belgien hergestellt war, kam man auf 28 Anschlüsse, so dass die Eupener Fernsprechstelle am 23. Dezember 1893 eröffnet werden konnte. Diese Verbindungsleitung diente nur dem Telefonverkehr der Teilnehmer in Eupen, Aachen, Düren und Köln. Die Telefoninhaber wurden mit einer hohen jährlichen Gebühr zur Kasse gebeten. Die Eupener Inhaber eines Telefonanschlusses konnten 1902 Ferngespräche mit weit über 400 Orten des In- und Auslands (Belgien – Holland) führen.
An verschiedenen Stellen der Stadt, z.B. auf dem Marktplatz und auf der Neustraße (siehe Bild unten), wurden damals für die oberirdischen Leitungen riesige Eisenmasten errichtet, die dann schließlich 1931 beim Verlegen der unterirdischen Leitungen aus dem Stadtbild verschwanden. In der „Eupener Zeitung“ berichtete man wie folgt darüber: „Bekanntlich darf auch Eupen sich ‚rühmen‘, zwei solcher Masten, die als Verschönerung des Stadtbildes nicht gerade angesehen werden können, zu besitzen, und die Frage ist daher berechtigt, ob sie nicht bald verschwinden würden...“ Diese Kreuzungspunkte für die bereits bestehenden zahlreichen Telefonanschlüsse verschwanden nun in den nächsten Monaten endgültig auf Marktplatz und Neustraße.


146. Die Eisengießerei Wintgens an der Neustraße


241. Eisengießerei Wintgens - Teil 1

242. Eisengießerei Wintgens - Teil 2

243. Eisengießerei Wintgens – Teil 3