7. Woher kommt eigentlich die Bezeichnung Waisenbüschchen? Manch einer mag denken, dies habe mit den nahe gelegenen Kinder- und Jugendhäusern des Zentrum Mosaik zu tun haben, doch die Geschichte des Waisenbüschchen reicht viel weiter zurück in die Vergangenheit...


33. Die Geschichte des Waisenbüschchens

Es wird gewiss nur ganz wenige Eupener geben, die noch nie ihren Fuß ins Waisenbüschchen gesetzt haben. Die Kinder kennen und lieben das dortige „Wolfsloch“, ein Tummelplatz hoch oben über der Landstraße nach Membach. Verliebte Pärchen suchen die dortigen stillen Wege auf, um gemeinsame Pläne des Glücks für die Zukunft zu schmieden, während die älteren Menschen vielfach mit ihren Sorgen und Anliegen im Waisenbüschchen zum Gnadenbild der Lieben Frau von Luxemburg gehen.

Waisenhaus und Waisenbüschchen sind zwei Wörter, die aus dem Vokabular des Eupeners nicht wegzudenken sind. Aus dem Waisenhaus wurde jetzt das Josephsheim, aber das Waisenbüschchen hat nach wie vor seine ursprüngliche Bezeichnung behalten. Viele gehen heute zum Waisenbüschchen, ohne jemals über den Sinn der Bezeichnung nachzudenken.

Dieser bewaldete, hoch gelegene Berghang über Weser und Unterstädter Industrie hat eine historisch interessante Bedeutung. Um die folgende Historie des Waisenbüschchens nachzuzeichnen, bedienten wir uns der diesbezüglichen Aufzeichnungen des Postmeisters Rutsch und des Pfarrers J.G. Heinen.

Auf Antrag des derzeitigen Pastors und einer Anzahl anderer Herren von Eupen wurde durch Hofordonanz des Kaisers Karl VI. Vom 17. Juli 1710 gestattet, in Eupen ein Waisen- und Arbeitshaus zu gründen. Die Anstalt wurde in einigen alten Häusern auf der Stelle des jetzt niedergelegten Josephsheims ins Leben gerufen. Zum Unterhalt dieses Heims fehlten größtenteils die Mittel. Das Waisenhaus war fast gänzlich ohne Einkommen, es war auf die Wohltätigkeit der Eupener Einwohner und auf den sehr geringen Ertrag aus der Arbeit der „Zöglinge“ angewiesen. Um aber den Fortbestand dieses Hauses zu sichern, wendeten sich die verantwortlichen Herren 1712 an die königliche Grundstücksverwaltung in Herve, mit der Bitte, ihnen einen Landstreifen in der Oe frei von allen Angaben oder gegen eine nur geringe Gebühr zu überlassen. Durch eine auf Pergament in französischer Sprache ausgefertigte Urkunde wurde dieser Bitte „gewillfahrt“. Die Urkunde lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:

Karl, durch die Gnade Gottes böhmischer Kaiser, König von Spanien, Indien, Ungarn, Böhmen, Dalmatien Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant und Limburg.

Allen denjenigen, welche dies sehen werden, unseren Gruß.

Wir haben die Bitte des Pastors und anderer Provisoren, welche von uns zur Leitung des Waisenhauses, welches vor ungefähr zwei und einem halben Jahr zu Eupen nach unserem Willen errichtet worden ist, eingesetzt worden sind, empfangen. In dieser Bittschrift wird angeführt, dass unser Gerichtshof für die Provinz Limburg dafür die Regeln und Befehle am 7. März 1711 unter Beifügung einer authentischen Abschrift derselben erlassen hat.

Es ist bekannt, dass die Gemeinde Eupen zum größtenteil aus Handwerkern besteht, welche einzig und allein von der Arbeit ihrer Hände leben, daher ereignet es sich täglich, dass diejenigen derselben, welche sterben, Kinder hinterlassen, welchen alle Mittel zu ihrer Existenz fehlen, die sich alsdann der Bettelei und dem Elende ausgesetzt sehen, welches auch dazu führt, dass dieselben durch diejenigen zu der reformierten Religion, welche sich von Tag zu Tag vermehren, verführt werden.

Die Bittsteller haben, um der Dürftigkeit ab- und der guten Erziehung der besagten Waisen besser nachzuhelfen, ihr Augenmerk auf ein Grundstück, „Oe“ genannt, geworfen, welches an das genannte neu entstehende Haus angrenzt. Dieses Grundstück liegt ganz abgelegen und wird sehr passend und nützlich, für dieselben Waisen sein; ebenso schmeicheln sich die Bittsteller mit der Hoffnung, dass sie mit Hilfe von Frondiensten und guten Leistungen der emsigen Einwohner der Stadt Eupen das Grundstück fruchtbar machen werden, obgleich es gegenwärtig noch ganz unfruchtbar ist und weder hohes Holz noch Schlagholz, sondern nur Gestrüpp trägt, welches für seine Majestät von keinem Nutzen ist. … Wir bewilligen die oben erwähnte Bitte um 11 Bonniers zu Gunsten der römisch-katholischen Waisen oder des obengenannten Hauses in dem Zustande, in welchem sie sich gegenwärtig befinden, um zu dem oben angegebenen Zweck verwandt zu werden und fortan als Bestandteil bei dem genannten Hause zu bleiben; sie nehmen ihren Anfang am Fuße des Marktfleckens Neaux nach Membach hin, an der Wasserleitung (Mühlenteich), die von dem Weserbach gespeist wird, an welcher Leitung vier Mühlen fast in gerader Linie liegen, welche an der vierten und unteren Walkerei endigen, mit drei Bonniers und 375 kleinen Ruthen des Berges, welcher Oeberg genannt wird. Dazwischen ist ein Weg von zwei kleinen Ruthen Breite dem Teiche entlang von einer Mühle zur anderen zu lassen, und der Hauptkasse in Limburg eine jährliche Abgabe von 10 Sols auf jeden Bonnier zu zahlen, welche jährlich am Tage des hl. Andreas fällig ist.

Das Grundstück umfasste zehn Hektar Land in der Oe und mehr als drei Hektar des zum Waisenhaus hin gelegenen Berghanges. Nur ein kleiner Anerkennungsbeitrag war jährlich zu entrichten.

Allmählich und mit viel Mühe wurden die öden Ländereien in der Oe gerodet oder zu Wiesen umgestaltet. Der zum Waisenhaus gelegene Berghang wurde mit Bäumen bepflanzt. Der so entstandene kleine Wald wurde in der Folge „Waisenbüschchen“ genannt, ein Name, den es nun schon rund 300 Jahre trägt. Das Waisenhaus bezog aus seinem Büschchen, wie es aus den Chroniken ersichtlich ist, den größten Teil des benötigten Brennholzes.

Heute weist das Waisenbüschchen einen großen Bestand an prächtigen Eichen auf. Die steil bergan oder bergab sich schlängelnden Wandelpfade verleiten immer wieder zu einem Besuch des hochgelegenen Waisenbüschchens. Die gesunde Luft des nahen Hertogenwaldes erhält man hier „aus erster Hand“. Zu jeder Jahreszeit wirkt das Waisenbüschchen einladend. Die Wege sind stets gepflegt, man hat den Eindruck, als ob hier die näheren Anwohner „ihr“ Waisenbüschchen in einem Bestzustand erhalten möchten. Das St. Josephsheim ist größer und schöner geworden, das Waisenbüschchen trägt nach wie vor seinen alten Namen und präsentiert sich weiterhin als dicht bewachsener Berghang.


38. Unsere Liebe Frau von Luxemburg im Waisenbüschchen

In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen errichteten im Josephsheim tätige luxemburgische Schwestern im Waisenbüschchen eine kleine Gebetsgrotte mit dem Bild der lieben Frau von Luxemburg. Im Laufe der Jahre wurde die Grotte verschönert und vergrößert, nachdem immer mehr Menschen dorthin zogen, um Maria ihre Anliegen vorzutragen und um Erhörung zu flehen. Besonders in den ersten Jahren nach dem Krieg pilgerten viele Frauen und Mütter zu der Grotte, um für eine baldige Heimkehr ihrer noch in Gefangenschaft befindlichen oder vermissten Männer und Söhne zu beten. Vor allem aus dieser Zeit zierten viele Votivtafeln und alte Rosenkränze den kleinen Gnadenort, bis derselbe einem Brand zum Opfer fiel, der alles zerstörte.

Inzwischen wurde die Grotte durch eine hübsche Anlage aus Ziegelstein mit schrägem Dach ersetzt, in deren Mittelpunkt wieder das kleine Bild unserer lieben Frau von Luxemburg steht. Auch heute trifft man dort noch immer viele Beter an.


120. Die Kreuzanlage im Oeberg

Die „groote gatze“ wird schon in den Eupener Grund- und Katasterbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts als Verbindungsweg von Eupen nach Membach und weiter erwähnt. Ob sie ihrer Bedeutung wegen den Namen „Große Gasse“ erhalten hat, ist nicht bekannt. Im Eupener Volksmund hieß sie „Mömmekergatz“. Aktenkundig ist ein Schreiben aus dem Jahre 1773, worin die Eupener sich über den schlechten Zustand „van de landstraet van alhier in Baeten nae membach, genoemt de „groote gatze“ beklagen“. Nicht minder bedeutend war aber auch die von der großen Gasse abzweigende „Teichgasse“; sie war bis zum Straßenbau Eupen-Dolhain durch das Oetal im Jahre 1854 der einzige Verbindungsweg zu den Fabriken im Oetal. Es ist daher kaum verwunderlich, an der Abzweigung dieser beiden Gassen eine Kreuzanlage anzutreffen.

„Gottes Segen auf allen Wegen“ lautete ein Wahlspruch unserer Vorfahren. Und beim Vorübergehen an einem Kreuz zogen sie grüßend die Mütze vom Kopf. Sich dieser christlichen Volksmentalität bewusst, widmete sich die Behörde zu allen Zeiten den Straßenkreuzen in der Stadt und über Land mit großer Sorgfalt. So meldete Bürgermeister Xhaflaire dem Bauamt noch im Jahre 1925: „Das Kreuz in der Gasse vom Rotenberg zur Oestraße bzw. nach Membach ist schon seit dem Frühjahr in schlechtem Zustande und bisher noch nicht erneuert worden. Ich ersuche um Mitteilung, aus welchem Grunde die Erneuerung des Kreuzes noch nicht erfolgt ist. Eupen, den 27. August 1925“. Der Stadtbaumeister antwortete am 16. September: „Das Kreuz wird im Laufe des Monats fertiggestellt und wieder aufgestellt.“

Als die große Gatze zum Limburger Weg ausgebaut wurde und der Standort der Kreuzanlage dem Bau des „Zentrum für berufliche Weiterbildung“ an dieser neuen Straße im Wege stand, musste sie einem Parkplatz für diesen Schulbau weichen. Zwar brachte man statt dessen an der gegenüberliegenden Gassenseite an die Umfassungsmauer des St. Josefs-Heim ein neues kleines Kreuz an, welches jedoch, als diese Mauer ebenfalls der Spitzhacke zum Opfer fiel, erneut verschwinden musste. Allerdings setzte die Behörde nunmehr in Erinnerung an die einstige Kreuzanlage in der Böschung ein neues kleines Kreuz auf einen Sockel.


143. Geschichte des Waisenbüschchens